Trotzreaktion: Lichtbildautomaten für Tennenbronn und Waldmössingen

Rätinnen und Räte wollen sich nicht verseckeln lassen / OB Eisenlohr heftig kritisiert

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Das klingt erst mal nach Schildbürgerstreich: Die Stadt Schramberg lässt sich zwei sündteure Lichtbildautomaten schenken – und stellt sie nicht in den beiden großen Stadtteilen in die Bürgerbüros, sondern in Waldmössingen und Tennenbronn. Der Hintergrund: Die Gemeinderätinnen und Räte fühlten sich von der Verwaltung „verseckelt“, wie es Udo Neudeck (Freie/Neue Liste) nannte. Die Retourkutsche, wenn die Dinger schon kommen, dann dahin, wo sie am wenigsten gebraucht, sprich den Fotografen vor Ort schaden werden.

Schramberg. Der Reihe nach: Seit 1. Mai gilt die Pflicht, digitale Bilder für Pässe und Personalausweise zu verwenden, um das „Morphing“ zu verhindern. Morphing, erläuterte Fachbereichsleiter Christian Birkle, sei das digitale Zusammenfügen verschiedener Bilder zu einem neuen. Dadurch könnten Ausweise gefälscht werden. Seit 1. Mai sollen nur noch digitale Aufnahmen aus behördeneigenen Automaten verwendet werden. Oder Bilder von zertifizierten Fotostudios, die über eine gesicherte Cloud ihre Aufnahmen, bereitstellen.

Umstritten: Passfotoautomat für die Rathäuser. Foto: Bundesdruckerei GmbH

Verwaltung: Viele Vorteile für die Bürgerschaft

Die Aufnahme im Rathaus brächte Vorteile für die Kunden. Sie könnten das Verfahren mit einem Besuch erledigen, wenn sie sich den Ausweis auch von der Bundesdruckerei zuschicken ließen. Beim bisherigen Verfahren waren der Gang zum Fotografen, zur Bürgerinformation für den Antrag und schließlich zum Abholen erforderlich. Die Aufnahme im Rathaus koste sechs Euro. Hinzu kämen die Gebühren für den Personalausweis und der Versand.

Birkle sprach von Effizienzsteigerung für die Verwaltung. Die Geräte würde die Bundesdruckerei jetzt kostenfrei liefern. Später könnte es sein, dass die Stadt 25.000 bis 30.000 Euro je Automat zahlen müsste. 16 der 19 umliegenden Gemeinden hätten die Geräte geordert. In Dunningen stehe bereits ein solcher Apparat. „Wir haben auch schon Nachfragen von Bürgern“, so Birkle.

Christian Birkle im Verwaltungsausschuss. Foto: him

Die Fotofachgeschäfte habe die Verwaltung im Blick. Die Geräte der Stadt seien ausschließlich für Personalausweise und Pässe. Alle anderen Bilder für Krankenkassen, Führerscheine oder Bewerbungen gäbe es weiterhin nur vom Fachgeschäft. Vom Rathaus gebe es auch keine Ausdrucke.

Eisenlohr: „Das erwarten die Menschen von uns“

Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr warb ebenfalls für den Verwaltungsvorschlag, die Geräte in den Bürgerbüros in Sulgen und im Tal aufzustellen. „Wir setzen um, was die Menschen von uns erwarten.“ Der Apparat spare Wege, Zeit und Mehrfachtermine und sei daher ein „echter Mehrwert“.

Sie verstehe auch die Bedenken wegen des Einzelhandels. Wenn es gut laufe, werde es auch keine Verdrängung, sondern eine Ergänzung des Einzelhandels sein. Für alle anderen Zwecke bleibe ja das Fotogeschäft „unverzichtbar“. Sie erinnerte daran, dass auch bisher schon Fotoboxen und Handy-Apps den Fotografen Konkurrenz gemacht hätten, „die fällt weg“.

Sie verwies auf die Nachbarkommunen, die Einnahmemöglichkeit („Die sechs Euro können wir behalten.“) und den Widerspruch, auf eine Digitalisierungsmöglichkeit zu verzichten, wenn man eine moderne Verwaltung haben möchte.

Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr bei ihrer Stellungnahme. Foto: him

Udo Neudeck: „Will mich nicht vera… lassen“

Die beiden langen Reden hatten den kurzen Sinn, sich gegen einen Antrag der Freien/Neuen Liste zu positionieren. Diese hatte nämlich gefordert, auf die Anschaffung der Geräte zu verzichten, um „die beiden ortsansässigen Fotofachgeschäfte zu schützen“. Dies sei im vergangenen Jahr einhellige Meinung der drei Gemeinderatsfraktionen gewesen. Sollten bereits Tatsachen geschaffen worden sein, müssten diese rückgängig gemacht werden, hatte die Fraktion verlangt.

Deren Sprecher Udo Neudeck spottete denn auch, er danke für die beiden ausführlichen Statements des Fachbereichsleiters und der Oberbürgermeisterin, das gebe es selten. Er erinnerte an die Willensbekundung der Fraktionen gegen die Apparate. Dann hieß es, die sind schon bestellt, ein Mitarbeiter habe das nicht richtig verstanden und die Geräte bestellt.

„Es gab die klare Ansage, wir wollen das nicht und es wird trotzdem gemacht. Ich lass‘ mich als Gemeinderat nicht gern verseckeln“, so Neudeck. Er machte dann einen „Vorschlag gut Güte“:  eben die Geräte in Waldmössingen und Tennenbronn aufzustellen. „Wenn wir sie doch in Schramberg und Sulgen brauchen, können wir sie immer noch herholen.“ Das geschehe zum Schutz des Einzelhandels, und weil er sich nicht vera… lassen wolle.

Eisenlohr: Nicht bestellt, nur nicht abbestellt

Eisenlohr rechtfertigte sich und die Verwaltung. Soweit sie wisse, seien die Geräte nie bestellt worden. Sie sei dankbar für den Kompromissvorschlag. Es sei unklar, ob man die Lieferung noch stoppen könne. Birkel berichtete, im vergangenen Jahr habe die Bundesdruckerei am 8. Mai angefragt, ob Schramberg die zwei Geräte wolle. Wenn nicht, müsse bis 31. Mai abgesagt werden. Das habe es nicht gegeben.

Tanja Witkowski (SPD-Buntspecht) erinnerte daran, dass es das Gesetz zu den digitalen Passbildern seit 2020 gebe. Sie habe versucht, das Thema in den Verwaltungsausschuss einzubringen, und in ihrer Haushaltsrede die Pläne kritisiert. Sie habe keine Informationen bekommen. „Es widerstrebt uns, aber wir müssen es austragen.“ Zum Dunninger Gerät lästerte sie, es sei zwar vor Ort, funktioniere aber nicht: „Vielleicht gibt’s es ja deshalb kostenlos?“

Die Lösung mit Waldmössingen und Tennenbronn fand sie nicht wirklich glücklich. Sie ärgerte aber, dass wichtige Dinge nicht vorher im Gemeinderat beraten würden.

Die Leiterin der Bürgerbüros, Monika Pixa, berichtete, letztes Jahr im März sei nicht klar gewesen, ob die Stadt die Geräte bekomme, am 8. Mai sei die Info der Bundesdruckerei eingetroffen, bis zum 31. Mai habe es keine Sitzung mehr gegeben. (Dem widersprach später Jürgen Reuter, er verwies auf eine Sitzung des Ausschusses für Umwelt und Technik am 16. Mai 2024 )

Schilda ist überall

Thomas Brantner schloss sich für die CDU-Fraktion den Aussagen von Udo Neudeck und Tanja Witkowski an. Der Ausschuss beschloss danach einstimmig, wie von Neudeck vorgeschlagen, zu verfahren. Lediglich Oberbürgermeisterin Eisenlohr enthielt sich der Stimme.

Annette und Martin Kasenbacher, deren Fotogeschäft heuer das 100-jährige Bestehen feiert, hatten den gesamten Abend die Sitzung verfolgt. Foto: him




Martin Himmelheber (him)

... begann in den späten 70er Jahren als freier Mitarbeiter unter anderem bei der „Schwäbischen Zeitung“ in Schramberg. Mehr über ihn hier.

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